150 Jahre Regionalbank
Marchfelder Bank Chronik

Einleitung

Chronik Marchfelder Bank

„Das Marchfeld ist die erfüllte Bitte um das tägliche Brot“, wie es der Groß-Enzersdorfer Dichter, Schriftsteller und Heimatforscher Friedrich Heller in seiner Broschüre „Lebenswertes Marchfeld“ ausdrückte, die zum 120jährigen Bestandsjubiläum der Bank erschien. Damit charakterisiert er die Kornkammer und den Gemüsegarten Österreichs, das Marchfeld, bereits sehr treffend. So wird das Marchfeld heute noch mit der weiten Ebene und ihren großen agrarischen Anbauflächen assoziiert. Neben die wogenden Kornfelder traten schon vor der Mitte des 19. Jh. die weiten Anbauflächen für Zuckerrüben hinzu, durch die Landwirtschaft und Industrie in der Region förmlich verknüpft wurden. Man denke nur an die großen Zuckerfabriken von Dürnkrut, Hohenau und Leopoldsdorf, von denen nur mehr letztere in Betrieb ist, von den kleineren Produktionsstätten ganz zu schweigen. Neben den dort zur Verfügung stehenden Anbauflächen war der Bau der Kaiser Ferdinands-Nordbahn ab 1837, der ersten Bahnlinie Österreichs, ein entscheidender Schritt in der Entwicklung der Region, nicht zuletzt in wirtschaftlicher Hinsicht. Einher damit ging die stetige Aufwärtsentwicklung von Orten an der Bahnlinie, wie Deutsch-Wagram, vor allem aber auch des späteren Eisenbahnknotenpunktes Gänserndorf, das als Verwaltungszentrum der Region zunehmend an Einfluss gewann, Sitz einer Bezirksverwaltungsbehörde und schließlich zur Stadt wurde.

Damit löste es allmählich die alten Zentren Groß-Enzersdorf, vor den Toren Wiens, und Marchegg an der Grenze zu Oberungarn, der heutigen Slowakei, ab. Gerade im letzteren Fall war auch für gut vier Jahrzehnte die Lage am „Eisernen Vorhang“ prägend, die die Entwicklung der Stadt hemmte. Blenden wir aber in die Zeit des Beginns der heutigen Marchfelder Bank in den 1870er Jahren zurück, so stellte sich die Situation noch ganz anders dar. Erst 1899 (kaiserliche Genehmigung) bzw. 1901 (Amtswirksamkeit) wurde der Bezirk Unter-Gänserndorf aus den Gerichtsbezirken Marchegg, Matzen und Zistersdorf geschaffen, die in den ersteren beiden Fällen zunächst zum Bezirk Groß-Enzersdorf und später zum Bezirk Floridsdorf, damals noch ein selbstständiger Ort, gehört hatten. Zistersdorf war davor Teil des Bezirkes Mistelbach gewesen. Groß-Enzersdorf hingegen war bei der Schaffung des nach Bezirken gegliederten Verwaltungswesens von 1850 bis 1854 und erneut von 1868 bis 1897 selbst Bezirkshauptstadt gewesen.

Danach war die Bezirkshauptmannschaft für wenige Jahre nach Floridsdorf verlegt worden, bis zu dessen Eingemeindung nach Wien 1905. Als Folge davon wurde der Bezirk Floridsdorf-Umgebung geschaffen, der aus den Gerichtsbezirken Groß-Enzersdorf und Wolkersdorf bestand. Dies blieb so bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten und, verbunden damit, der Schaffung von „Groß-Wien“, womit Groß-Enzersdorf eingemeindet und für den 22. Bezirk anfänglich namengebend wurde. Erst nach der Auflösung Groß-Wiens gelangte Groß-Enzersdorf mit weiteren Orten des ehemaligen Bezirks Groß-Enzersdorf an den Bezirk Gänserndorf. Andere Orte verblieben aber beim 22. Wiener Gemeindebezirk, darunter Essling, was auch für die Geschichte der Marchfelder Bank noch eine Rolle spielen sollte. In der aktuellen Wahrnehmung wird das Marchfeld meist lediglich mit dem südlichen Teil des Bezirks Gänserndorf gleichgesetzt, was der historischen Entwicklung des Marchfeld-Begriffes alleine nicht gerecht wird. Zwei weitere prägende Elemente für die Region ist ihre Begrenzung im Süden durch die Donau und im Osten durch die namengebende March. Als einer der wenigen großen Zuflüsse, die die Donau, von Norden her kommend, erreichen, war und ist sie eine bedeutende Landmarke, was sich auch in den seit der römischen Antike einsetzenden Nennungen des Flusses widerspiegelt.

Selbst in der für den ganzen Raum an schriftlichen Quellen armen Zeit von der Spätantike bis zum beginnenden Hochmittelalter gehören Nennungen der March bzw. von ihrem Namen abgeleitete Begriffe zu den wenigen Angaben, die sich relativ eindeutig geografisch verorten lassen und in einer Vielzahl von Stellen in Chroniken des Früh- und beginnenden Hochmittelalters genannt werden. Der vom Fluss abstammende Name Marchfeld selbst, als die früheste Regionsbezeichnung des nordöstlichen Niederösterreichs, scheint bereits in einer Urkunde des Jahres 1058 auf. Sie wurde im Zuge des Umrittes, einer symbolischen Machtdemonstration von Kaiserin Agnes, in diesem gerade von den Ungarn gewonnenen Territorium angefertigt und endet mit der Angabe „[…] actum Marahafelt […]“ – also ausgestellt am bzw. im Marchfeld. Im weiteren Verlauf von Mittelalter und Neuzeit findet sich die Bezeichnung Marchfeld immer häufiger, überdies oft auf ein Gebiet angewendet, das sehr weit über das hinausgeht, was heute landläufig darunter verstanden wird. Erst die immer weiter von Westen in Richtung Osten voranschreitende Verwendung des im späten 19. Jh. aufkommenden Weinviertel-Begriffes „reduzierte“ das, was unter Marchfeld verstanden wird, in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg auf sein fast völlig flaches „Kerngebiet“. Hier ist der Name aber weiterhin Identität stiftend und definiert gewissermaßen das Haupteinzugsgebiet der Marchfelder Bank, auch wenn sich der Kundenkreis weit darüber hinaus nach Wien, in das Weinviertel und das nördliche Burgenland erstreckt.

Noch weiter als die Geschichte des Marchfeldes, die hier nur in wenigen Worte angerissen wurde, geht jene der Banken oder besser gesagt deren Vorgängerformen zurück. Bereits im 2. Jahrtausend v. Chr. gab es in Mesopotamien „Banken“, die eine Art Kontenführung betrieben. In der römischen Antike war die Buchführung bereits weit entwickelt, und „Bankiers“ übernahmen auch Notar-, Makler- und Auktionatorfunktionen. Aus der Spätantike ist schon so etwas wie eine „staatliche Bankenkontrolle“ überliefert. In bedeutenden Rechtswerken, allen voran dem „Corpus iuris civilis“, der auf Veranlassung des oströmischen Kaisers Justinian I. in der Zeit um 530 n. Chr. entstand, findet sich eine Art römisches Bankrecht. Bedeutend für die Weiterentwicklung war vor allem Italien, wo sich seit dem 11. Jh. eine Art von Girokonten, also eine Art bargeldloser Zahlungsverkehr mit Überweisungen von einem auf das andere Konto, findet. Im 13. Jh. nahm das italienische Bankwesen immer umfassendere Formen an. Nicht von ungefähr haben viele Bankbegriffe ihren Ursprung im Italienischen. Im deutschen Sprachraum gilt die Bank der Augsburger Patrizierfamilie Fugger, die 1486 erstmals genannt wurde, als älteste Bank. Die Fugger waren Finanziers der machtpolitischen Ambitionen des Herrscherhauses der Habsburger und beeinflussten so die europäische Politik maßgeblich mit. Noch im 18. Jh. dienten in Österreich Banken zum allergrößten Teil der Staatsfinanzierung, besonders in Kriegsfällen. Die Wiener Bankenlandschaft des 18. Jh. bestand aus Privatbanken, die vornehmlich aus großen Handelshäusern hervorgegangen waren. Mitte des 19. Jh. begann sich die Lage hier zu verändern mit der Gründung der Niederösterreichischen Eskomptegesellschaft. Das 1853 entstandene Institut konnte sich, wie mehrere andere Neugründungen dieser Zeit z.B. der Creditanstalt-Bankverein, aus den zu Beginn noch sehr starren staatlichen Reglements lösen und bot ein ganzes Spektrum von Finanzdienstleistungen an.

Die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen und die um die Mitte des 19. Jahrhunderts immer schneller Fahrt aufnehmende Technisierung führte zu einer Vielzahl von Problemen, die einerseits besonders die kleineren und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe betraf, auf der anderen Seite die gewerblichen Klein- und Mittelbetriebe. Ein Problem waren vor allem die explodierenden Zinsen für Kredite. Doch war es auch kaum möglich, der Entwicklung standzuhalten, ohne für die Anschaffung etwa von modernen Maschinen Geldmittel aufzunehmen. Dieser Teufelskreis führte dazu, dass so mancher Betrieb in finanzielle Schieflage geriet und der Konkurs drohte oder vielfach auch eintrat. Dies rief faktisch parallel zwei Personen auf den Plan, die mit ihrer Idee zur Gründung von genossenschaftlichen Darlehenskassen Hilfe zu Selbsthilfe leisteten. Auf der einen Seite war dies Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der sich vor allem an eine bäuerliche Klientel wandte, auf der anderen Seite stand Hermann Schulze-Delitzsch, der vornehmlich Gewerbetreibende und kleinbürgerliche Kreise ansprach, an denen die damals etablierten Großbanken kein Interesse als Kunden besaßen.

Franz Hermann Schulze wurde 1808 geboren und zählt zu den großen Sozialreformern des 19. Jahrhunderts. Er selbst nannte sich Hermann Schulze-Delitzsch – den Namenszusatz Delitzsch legte er sich nach seiner im nordwestlichen Sachsen gelegenen Heimatstadt zu, als er 1848 Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung wurde und durch diesen Zusatz Verwechslungen mit anderen Abgeordneten, die ebenfalls den Nachnamen Schulze trugen, entgegenwirken wollte. In dieser Funktion war er auch mit der zur Zeit der beginnenden Industrialisierung oft tristen Lage von Handwerkern und Gewerbetreibenden befasst. Sein Rezept dagegen sollten genossenschaftliche Zusammenschlüsse bieten. In der Folge setzte er sich unter anderem auch zur Schaffung von Vorschuss- und Kreditvereinen ein, um die notwendigen finanziellen Mittel zur Betriebsführung und für Investitionen zu beschaffen. War die Entwicklung der Raiffeisenkassen eher eine von „oben“ geförderte, so kam die Bewegung, die zur Gründung der nach dem Selbsthilfemodell von Schulze-Delitzsch organisierten Kreditgenossenschaften sozusagen von „unten“, aus der Bevölkerung selbst. Seine Ideen fielen auch in Österreich auf fruchtbaren Boden, sodass es 1872 zur Gründung des „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“, einem der Vorläufer des Österreichischen Genossenschaftsverbandes als Interessensvertretung und Revisionsverband der Volksbanken kam.

In der Entwicklung des Genossenschaftswesens kam Niederösterreich in der k. & k. Monarchie eine Vorreiterrolle zu. Einerseits ob seiner damaligen Landeshauptstadt Wien – gleichzeitig das Zentrum der Donaumonarchie –, andererseits ob der hier einsetzenden industriellen Entwicklung – es sei nur auf die später aufkommende Bezeichnung Industrieviertel für das Viertel unter dem Wienerwald verwiesen. Die erste gewerbliche Kreditgenossenschaft entstand aber 1863 in Krems an der Donau – also lediglich 10 Jahre bevor die Geschichte der Marchfelder Bank ihren Ausgang nahm.

Alles begann vor 150 Jahren in Groß-Enzersdorf, das damals noch Hauptstadt des gleichnamigen Bezirkes war. Es war die Zeit der Industrialisierung, mit der sich das Leben in vielen Bereichen zu verändern begann. Parallel dazu entwickelte sich auch das Genossenschaftswesen in seinen verschiedenen Ausprägungen, im landwirtschaftlichen Sektor – es sei nur als Beispiel auf die Milchgenossenschaften verwiesen –, im warengenossenschaftlichen Bereich, woraus die späteren Konsumgenossenschaften hervorgehen sollten oder Baugenossenschaften, anfangs aber vor allem im kreditgenossenschaftlichen Bereich. In diesem liegen die Anfänge gleich mehrerer Institute, die zu den Vorgängern der Marchfelder Bank zählen.

2. Der Spar- und Vorschussverein in Groß-Enzersdorf r.G.m.b.H.