Vom Spar- und Vorschussverein Unter-Gänserndorf zur Ersten Gänserndorfer Volksbank
Um einiges komplexer stellt sich die Lage in Gänserndorf dar. Hier liegt die älteste Wurzel der Marchfelder Bank im „Spar- und Vorschußverein Unter-Gänserndorf“. Dieser erhielt am 8. Juni 1888 seinen Eintrag in das Genossenschaftsregister. Dazu bedurfte es aber einer längeren Vorlaufzeit – auf den handschriftlich festgehaltenen ersten Statuten finden sich vor den Unterschriften am Schluss des Dokumentes folgende Angaben: „Unter-Gänserndorf am 13. Februar 1888“ und in der Zeile darunter „am 17. Mai 1888“. Welches Datum aus der ersten Jahreshälfte 1888 nun tatsächlich als Gründungsdatum für den „Gänserndorfer-Zweig“ der Marchfelder Bank gelten soll, ist somit nicht ganz klar.
Daneben entstanden im späteren 19. Jh. auch weitere Banken in der Umgebung von Gänserndorf, die aber ursprünglich ihren Hauptsitz in anderen Ortschaften hatten: So die NÖ Sparkasse Marchfeld, die 1881 als Sparkasse Matzen aus der Taufe gehoben wurde. Bedingt durch die wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegsjahre des 2. Weltkrieges übernahm die Gemeinde Gänserndorf 60% der Haftung an der Kasse, sodass die Hauptstelle schließlich im Jahre 1948 nach Gänserndorf verlegt wurde.
Auch die Raiffeisenkasse Gänserndorf war nicht im Ort selbst entstanden, sondern nahm ihren Ausgang im benachbarten Schönkirchen, wo sie 1892 als „Spar- und Darlehenskasse Schönkirchen“ entstanden war. Auch hier waren es wirtschaftliche Überlegungen und der zunehmende Bedeutungsgewinn von Gänserndorf, der zur Verlegung des Sitzes der Bank im Jahre 1956 dorthin führten. Diese Entwicklung erklärt sich daraus, dass der große Aufstieg von Unter-Gänserndorf erst durch den Ausbau der Kaiser Ferdinands-Nordbahn ihren Ausgangspunkt nahm. Das erste Teilstück zwischen Floridsdorf und Deutsch-Wagram wurde 1837 in Betrieb genommen, doch die Bauarbeiten gingen so rasch voran, dass im Jahr darauf auch Gänserndorf bereits erreicht worden war. Mit der Eröffnung der Bahnlinie nach Pressburg/ Bratislava im Jahr 1848 wurde Gänserndorf zum wichtigen Bahnknotenpunkt. Dieser Aufstieg war verbunden mit einem stetigen Bevölkerungszuwachs und der Ansiedlung von Gewerbebetrieben im Ort und manifestierte sich auch im verwaltungstechnischen Bereich. So wurde 1853 das Marktrecht verliehen. Nach mehreren Versuchen, Sitz einer Bezirkshauptmannschaft zu werden, gelang dies Unter-Gänserndorf schließlich im Jahre 1899, als die Genehmigung zur Errichtung der Bezirkshauptmannschaft erteilt wurde, was 1901 amtswirksam wurde. Die damalige Erstreckung des Bezirkes entsprach aber noch nicht jener, die der heutige Bezirk einnimmt. Zum Gerichtsstandort wurde Gänserndorf jedoch erst durch die Verlegung der beiden Bezirksgerichte Matzen und Marchegg im Sommer 1945, womit im Herbst dieses Jahres das neue Bezirksgericht Gänserndorf offiziell seine Amtsgeschäfte aufnehmen konnte. Als weiterer Schritt, der unter anderem durch die Bedeutung von Gänserndorf als Bahnknotenpunkt begründet wurde, erfolgte schließlich Ende 1958 die Stadterhebung. Als diese Bankinstitute entstanden, hatte Gänserndorf also noch nicht seine heutige Bedeutung. Somit ist der „Spar- und Vorschußverein Unter-Gänserndorf“ von 1888 als einer der Vorgänger der Marchfelder Bank, das älteste Institut, das in Gänserndorf selbst entstanden war.
Sitz war der „kleine Saal“ im ersten Stock des damaligen Gemeindegasthauses, heute als Gasthaus Hansy bekannt, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf seine Wiedereröffnung harrt.
Der Bau des Gebäudes wurde 1869 durch die Gemeinde beauftragt und beherbergte unter anderem bis 1922 Kanzleiräume der Gemeinde und in einem Seitentrakt auch die beiden Zellen des Gemeindearrestes. Im Hof wurde ein Schuppen für die Feuerspritze der 1886 gegründeten Freiwilligen Feuerwehr errichtet, und ab 1901 war auch die gemeindeeigene Fleischbank auf dem Areal untergebracht. Außerdem wurden Gemeinderatssitzungen hier abgehalten, der große Saal diente für gesellschaftliche Veranstaltungen aller Art, und eine Vielzahl von Vereinen und Körperschaften hatten hier ihren Sitz, von der bereits angesprochenen Feuerwehr über Musikvereine bis zum Turnverein. Das Gebäude, in dem sich der erste Sitz der Bank befand, war, modern ausgedrückt, also ein Multifunktionsbau im besten Sinn. Bereits an der Geschäftsführung zeichnete sich die Klientel ab, die angesprochen werden sollte – Gewerbetreibende und das Bürgertum. So war der Obmann Georg Ehart im Brotberuf Wirt, der Buchhalter Laurenz Graf Lehrer und der Kassier Karl Nowak Kaufmann. Ein Geschäftsanteil betrug damals 25 Gulden. Die erste Krise kam mit der Niederlage im 1. Weltkrieg und dem damit verbundenen Zerfall der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Die galoppierende Inflation der Jahre nach dem 1. Weltkrieg lässt sich an der Entwicklung der Spareinlagen skizzieren: Im Jahr 1899 hatten sich die Spareinlagen noch auf 394.186, 63 Kronen belaufen, 1921 waren daraus 6 Millionen 259.699,83 Kronen geworden und, bevor am 1. März 1925 der Schilling zur neuen Währung wurde, betrugen sie schließlich 3 Milliarden 12 Millionen und 143.500 Kronen. Die Währungsreform hin zum Schilling mit einem Umrechnungskurs von 1 : 10.000 sowie die natürlichen Veränderungen durch Behebungen machten daraus 471.079 Schilling und 75 Groschen mit Stand 1926. Doch kam das Institut zunächst vergleichsweise gut durch das wirtschaftlich schwere Fahrwasser dieser Zeit. Ganz im Gegensatz zu dem zweiten Spar- und Vorschussverein, denn in Gänserndorf blieb jener „Spar- und Vorschußverein Unter-Gänserndorf“, in dem eine der Wurzeln der Marchfelder Bank liegt, nicht alleine, was hier erwähnt sei, um Verwechslungen vorzubeugen. 1910 wurde nämlich die „Volks-, Spar- und Vorschußkasse Germania“ gegründet. Wie schon der Name suggeriert, war es weniger die Notwendigkeit, bei der damaligen Größe bzw. Einwohnerzahl von Gänserndorf eine zweite Vorschusskasse zu gründen, als vielmehr die politische Ausrichtung der entscheidenden Akteure, die dem deutschnationalen Umfeld angehörten bzw. nahstanden und sich nicht mit dem bestehenden Institut anfreunden konnten. Mehr den politischen Interessen als der wirtschaftlichen Notwendigkeit geschuldet, blieb das Institut aber eine eher kurzlebige Episode, die in den auf den 1. Weltkrieg folgenden wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein baldiges Ende fand. 1924 wurde die Auflösung beschlossen, das anschließende Liquidationsverfahren zog sich noch bis 1926 hin.
Eine einschneidende Veränderung im Geschäftsgebaren brachte das Jahr 1930 mit sich, als am 30. März durch den Vorstand beschlossen wurde, Kredite nur noch an Mitglieder des Spar- und Vorschussvereins zu vergeben – die Möglichkeit, Spareinlagen zu tätigen, blieb aber für alle offen. Gleichzeitig wurde im offiziellen Namen das „Unter“ bei Gänserndorf gestrichen, das die heutige Stadt Gänserndorf bis 1904 zur Unterscheidung von Obergänserndorf im Bezirk Korneuburg im amtlichen Namen geführt hatte. Am Beginn der Satzung stand gleich einem hoffnungsvollen Motto zu lesen: „Förderung der Wirtschaft und des Gewerbes der Mitglieder, Hebung des Sparsinns der Bevölkerung durch Entgegennahme von Spareinlagen“. Doch schon bald danach sollte diese Hoffnung enttäuscht werden, denn die Folgen der Weltwirtschaftskrise zeitigten immer stärker ihre Auswirkungen. Schon im folgenden Jahr 1931 wurden an die 40 Prozent der Spareinlagen durch die immer stärker in Finanznöten befindlichen Sparer abgehoben. Die neuerliche Inflation hatte den Einlagenstand von 1926 bis zum Jahr 1930 auf 1 Million 176.033 Schilling schon fast verdreifacht. Dies führte zu Liquiditätsproblemen und in deren Folge dazu, dass der Spar- und Vorschussverein Gänserndorf unter die Geschäftsaufsicht des Handelsgerichtes kam. Doch das Institut erholte sich langsam – am 15. Februar 1934 wurde die Aufsicht wieder aufgehoben. Bereits 1933 hatten die Einlagen wieder 864.819 Schilling und 19 Groschen erreicht, 1938 kurz vor der NS-Machtübernahme und der damit verbundenen Währungsumstellung auf Reichsmark waren es 903.862, 85 Schilling. Die Erholung ging sogar soweit, dass der Sitz im Obergeschoss des Wirtshauses aufgegeben werden und am 15. Dezember 1937 ein eigenes Geschäftslokal im damaligen Haus Hauptstraße Nr. 1 bezogen werden konnte. Dem Gasthaus Hansy blieb die Bak aber weiter treu – die Generalversammlungen fanden bis zum Ende der Bank als selbstständiges Institut im Jahre 1942 weiterhin dort statt.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 verbunden kam es auch hier zu einschneidenden Veränderungen, die schließlich dazu führten, dass die selbstständige Geschichte dieses Institutes endete. Per Beschluss vom 11. Mai 1941 wurde die Bank umstrukturiert, ihr offizieller Name lautete nun „Erste Gänserndorfer Volksbank“. Wenngleich der Langzeitobmann Johann Haindl sein Amt noch weiterführen konnte, kam es auch hier zu personellen Veränderungen, die die Einflussnahme der NSDAP auf die Bank widerspiegeln – am Augenscheinlichsten wohl durch die Aufnahme des NSDAP-Ortsbauernführers von Gänserndorf in den Vorstand. Hinzu kommen auch hier personelle Veränderungen im Vorstand. Gleichzeitig treten in den Protokollen die Auswirkungen des Krieges immer stärker zu Tage, nicht zuletzt durch Personalengpässe, die durch Mehrarbeit von Vorstandsmitgliedern kompensiert werden mussten. Die Zeit als Gänserndorfer Volksbank blieb nur eine kurze Episode. So beschloss die außerordentliche Generalversammlung der Bank am 20. Dezember 1942 schließlich die Fusion der Ersten Gänserndorfer Volksbank als zu übernehmende Genossenschaft mit der Marchfelder Volksbank als übernehmende Genossenschaft, womit die Geschichte dieses Vorgängers der Marchfelder Bank als selbstständiges Institut ihr Ende nahm. Dass dies nicht völlig freiwillig geschah, wurde ja bereits am Beispiel der Groß-Enzersdorfer Institute dargelegt.
6. Die Spar- und Vorschusskasse r.G.m.b.H. in Marchegg