Der Spar- und Vorschussverein in Groß-Enzersdorf r.G.m.b.H.
Das Gesetz über „Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften“ vom 9. April 1873, das am 17. Mai dieses Jahres unter Nr. 70 im XXV. Reichsgesetzblatt ausgegeben wurde und die Grundlage für den Genossenschaftsvertrag des „Spar- und Vorschuss-Vereines in Groß-Enzersdorf“ war, war gerade erst der Druckerei entwachsen, als in Groß-Enzersdorf bereits dieses Institut aus der Taufe gehoben wurde. Die Gründung wird im Genossenschaftsvertrag ohne genaue Tagesangabe mit Mai 1873 verzeichnet. Doch gab es bereits intensive Vorarbeiten zur Gründung und eine rege Sitzungstätigkeit, wie Schriftstücke aus dem März 1873 belegen. Allen voran die mit 5. März 1873 datierte handschriftliche Einladung zur Hauptversammlung des „Spar- u. Vorschuß-Vereines zu Groß-Enzersdorf“, die darin für 12. März anberaumt wurde. Damit zählt die Bank zu den ältesten auf den Ideen von Schulze-Delitzsch fußenden Instituten in ganz Österreich. Auf dieses Gesetz berief sich das Institut auch in der Folge, wurde es doch sogar in handschriftlichen Dokumenten etwa bei Abänderungen, so z.B. als 1875 der Spar- und Vorschussverein in eine Genossenschaft umgewandelt wurde, zitiert.
Im Genossenschaftsvertrag ist bereits in der Kopfzeile „Spar- und Vorschuß-Verein Groß-Enzersdorf registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung nach dem Gesetze vom 9. April 1873 Nr. 70“ zu lesen. Selbst in den 1970er Jahren taucht dies noch in einem ähnlichen Wortlaut in den Satzungen des Nachfolgeinstitutes auf. Ein Geschäftsanteil war 1875 für 100 Gulden zu haben. Die Währungsreform in Österreich-Ungarn, in der die bisherige durch Silber gedeckte Guldenwährung am 11. August 1892 durch die auf Gold basierende Kronenwährung umgestellt wurde, wirkte sich freilich auch auf die Geschäftsgebarung des Spar- und Vorschussvereins Groß-Enzersdorf aus. Als 1902 ein erneuerter Genossenschaftsvertrag veröffentlicht wurde, wurden die neuen Geschäftsanteile nun auf 200 Kronen festgelegt, was sich durch den Umrechnungskurs von einem Gulden zu zwei Kronen bei der Einführung der neuen Währung erklärt. Zu bezahlen waren diese entweder auf einmal oder in jährlichen Raten, die mindestens 12 Kronen betragen mussten. Alle Mitglieder durften übrigens nach den Statuten jeweils nur einen Geschäftsanteil besitzen. Die Verwaltung des Institutes bestand aus der Generalversammlung, der Geschäftsleitung, die in Vereinsvorstand und Ausschuss untergliedert war, sowie den Aufsichtsrat, was in ähnlicher Form auch in den früheren Statuten so zu finden ist.
Die Zielsetzung des Institutes nach dem System Schulze-Delitzsch fasst der zweite Paragraph der Statuten von 1873 gut zusammen und erklärt auch, was mit „Vorschuss“, eine Bezeichnung, die sich auch bei anderen Vorgängerinstituten der Marchfelder Bank findet, gemeint ist: „Die Genossenschaft hat den Zweck, ihren Mitgliedern durch deren gemeinschaftlichen Kredit die zur Förderung ihres Erwerbes oder ihrer Wirtschaft oder zur Deckung anderer Bedürfnisse erforderlichen Geldmittel zu verschaffen und zwar insbesondere durch Darlehenerteilung in Form von Vorschüssen auf Wechsel oder Schuldscheine gegen Bürgschaft oder Pfand, durch Eskomptierung [= Vorwegnehmen] von Wechseln, durch Einlösung von Geschäftsanteilen, Belehnung von Wertpapieren, Kauf und Verkauf derselben, Einlösung von Satzforderungen, Ankauf und Verkauf von Realitäten [= Grundstücke].“ In Paragraf 13 werden die genauen Bedingungen für die Gewährung solcher Vorschüsse erläutert, Paragraf 12 befasst sich mit den Regeln für die Spareinlagen, die durch das Institut angenommen und verzinst wurden und den ersten Bestandteil der Namensgebung des Institutes als Spar- und Vorschussverein widerspiegeln.
Die Angaben, die zu den Berufen der Mitglieder etwa um 1900 gemacht werden, spiegelt auch den Kundenkreis wider, an den sich das Institut wandte, der vom Wirtschaftsbesitzer über den Maler bis hin zum k. k. Postmeister reicht. Es waren im kleinstädtischen Umfeld von Groß-Enzersdorf die Gewerbetreibenden und das Bürgertum, das hier besonders angesprochen werden sollte. Der Sitz des Institutes befand sich vermutlich dem Stadtzentrum zu in der Nähe der Pfarrkirche in einem kleinen Büro in der Raasdorfer Straße. Die Versammlungen des Spar- und Vorschussvereins wurden, zumindest in einigen Fällen, die durch Quellen dokumentiert sind, im ausgehenden 19. Jh. im Rathaussaal von Groß-Enzersdorf abgehalten.
Wie stellte sich das Sparen aber in der Zeit um 1900 dar: Zum Vergleich zur heutigen Situation bei Spareinlagen seien dazu zwei handschriftliche Kundmachungen der vorletzten Jahrhundertwende herangezogen. So wurden die Zinsen von 1899 auf 1900 von 3 ½ auf 3 ¾ % erhöht und von 1900 auf 1901 von 3 ¾ auf 4 %.
Das Ende des 1. Weltkrieges und verbunden damit der Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie brachten größte wirtschaftliche Probleme mit sich, und auch das durch den Krieg verursachte Elend lebte weiter fort. Zwar war die Region damals, was einer der wesentlichen Unterschiede zur Situation im Jahre 1945 sein sollte, von direkten Kampfhandlungen verschont geblieben, doch trugen Kriegsheimkehrer mit körperlichen wie seelischen Verwundungen die Traumata der Kriegsschauplätze mit in ihre Heimat. Vor diesem für kleine Geldinstitute auch nicht einfachen Hintergrund erweiterte der Spar- und Vorschussverein in Groß-Enzersdorf seinen Kundenkreis von Bürgertum und Gewerbetreibenden zusehends auf bäuerliche Kreise im Umland der Stadt, um mit der Erweiterung des Geschäftsumfanges die Schwierigkeiten kompensieren zu können.
1919 erfolgte der Ankauf der Liegen-schaft, wo sich heute noch der Standort der Marchfelder Bank in Groß-Enzersdorf befindet. Dabei handelte es sich um ein Wohn- und Wirtschaftsgebäude samt Hof.
1888 war dort das neue Gebäude der „Specerei- Colonial- Schnitt und Eisen- Waarenhandlung“ von Carl Mayerhofer errichtet worden. Carl Mayerhofer war von 1905 bis 1915 Bürgermeister von Groß-Enzersdorf gewesen und nach dem französischen Luftfahrtpionier Jean-Pierre Blanchard, der 1791 mit einem Wasserstoffballon vom Wiener Prater nach Groß-Enzersdorf geflogen war, der zweite Ehrenbürger von Groß-Enzersdorf. Von dessen Erbinnen wurde die Liegenschaft nun veräußert. Verbunden war das Geschäft übrigens auch mit einer Branntweinschankkonzession gewesen, also der behördlichen Genehmigung zum Ausschank von Schnaps an diesem Ort, die um 10.000 Kronen, heute etwas mehr als 2.400 Euro, gleich miterworben wurde. Abgewickelt wurde der Kauf über den Groß-Enzersdorfer Rechtsanwalt Dr. Karl Buresch, der in dieser Zeit auch für drei Jahre Bürgermeister der Stadt gewesen war und selbst einige Zeit als Obmann des Spar- und Vorschussvereins fungierte. Buresch war damals schon kein Unbekannter und machte in seiner Laufbahn von Beginn der 1920er bis Mitte der 1930er Jahre als Nationalratsabgeordneter, Landeshauptmann von Niederösterreich, Außenminister, Finanzminister und 1931/32 als österreichischer Bundeskanzler politische Karriere.

Sehr früh wurde auch schon „Kultursponsoring“ betrieben: So hat sich ein Schreiben des Groß-Enzersdorfer Orgelbaukomitees vom 4. Juni 1925 erhalten, durch das dem Spar- und Vorschussverein Groß-Enzersdorf für die Beisteuerung von 12.000.000 Kronen gedankt wird. Die riesige Summe von 12 Millionen relativiert sich aber durch die damalige rasante Geldentwertung, knapp bevor mit Wirkungsbeginn am 1. März 1925 die neue Schillingwährung eingeführt wurde, was später auch noch Teil der Darstellung sein wird. Nach heutiger Kaufkraft entspricht diese Summe 5.880 Euro.
Ein besonderes Jubiläum brachte das Jahr 1929 mit sich, als der Oberbuchhalter des Spar- und Vorschussvereins, Heinrich Riedner, der seinen Dienst von der Gründung im Jahre 1873 an für 40 Jahre versehen hatte, mit einem Ehrendiplom der Stadt Groß-Enzersdorf für all seine Verdienste ausgezeichnet wurde und er zusätzlich durch Landeshauptmann Buresch, als langjährigem Obmann des Spar- und Vorschussvereins, eine Ehrenmedaille für seine dortigen Dienste erhielt.
Dass die Gleichschaltung der Banken durch Veränderungen in den Vorständen und Aufsichtsräten ein erklärtes Ziel der NSDAP war, zeigt sich in einem Schreiben der NSDAP-Ortsgruppenleitung Groß-Enzersdorf an den Spar- und Vorschussverein vom 7. Oktober 1938. Darin wird angeführt, welche NSDAP-Parteimitglieder sich „bereit erklärt“ haben, dem Spar- und Vorschussverein als Mitglieder beizutreten und aufgenommen werden sollen. Dass es sich dabei nicht um eine Bitte, sondern um einen Befehl handelte, verdeutlicht der letzte Satz vor der angefügten Personenliste: „Die Ortsgruppenleitung erteilt Ihnen im Namen des Kreisleiters den Auftrag, diese Pgg. sofort als Mitglieder der Genossenschaft aufzunehmen.“ Aus dieser Personengruppe sollten auch die neun Mitglieder des Vorstandes bzw. des Ausschusses gewählt werden, „[…] um weisungsgemäß die erforderlichen Veränderungen in der Zusammensetzung […] durchzuführen.“ Dass es von Seiten des Spar- und Vorschussvereins Bedenken dagegen gab, zeigt ein Schreiben vom 11. Oktober, in dem es unter anderem heißt: „Durch die bedeutende Aenderung in der Zusammensetzung der Funktionäre könnte die Gefahr einer Beunruhigung der Sparer und der übrigen Mitglieder entstehen, deren Ausmass man heute noch nicht übersehen kann.“ Dass dem kein Erfolg beschieden war, zeigt das Ergebnis der außerordentlichen Vollversammlung des Spar- und Vorschussvereins Groß-Enzersdorf am 19. Oktober 1938. Dreizehn der vierzehn auf der Liste der NSDAP befindlichen Personen wurden dann auch in eine Funktion gewählt, sei es im Vorstand, im Ausschuss oder im Aufsichtsrat. Dass manche dieser Personen, wie dem Protokoll der Sitzung zu entnehmen ist, lediglich stark verspätet auftauchten, um sich schnell „wählen“ zu lassen, verdeutlicht noch mehr, dass es sich hier um eine Farce handelte, deren Ausgang von Vornherein feststand. Demgegenüber verblieben nur 10 Funktionäre, die vor der NSDAP-Machtübernahme bereits ihr Amt ausgeübt hatten.
Ähnliche Vorgänge gab es auch bei anderen hier behandelten Vorgängerinstituten der Marchfelder Bank, doch sei dies exemplarisch am Spar- und Vorschussverein Groß-Enzersdorf verdeutlicht, da hier zu diesem Vorgang die schriftlichen Quellen in größerem Umfang erhalten blieben. Inwieweit die Banken in Groß-Enzersdorf, Gänserndorf und Marchegg an der Übernahme bzw. Veräußerung geraubten jüdischen Eigentums beteiligt waren, bedürfte einer selbstständigen Untersuchung. Allein die Tatsache aber, dass im Jahre 1938 Groß-Enzersdorf und Gänserndorf zu den größten Israelitischen Kultusgemeinden Niederösterreichs zählten, legt nahe, dass arisiertes jüdische Vermögen auch an diesen Banken zumindest veranlagt wurde.
Es war aber nicht nur die „politische Umfärbung“ der Kreditgenossenschaften bzw. Banken erklärtes Ziel der NSDAP, sondern auch deren Zentralisierung, insbesondere der vielen Klein- und Kleinstinstitute. So wurde die „Rentabelmachung der ostmärkischen Genossenschaften“ mit großem Druck vorangetrieben, was eine nie zuvor dagewesene Fusionswelle in der niederösterreichischen Bankenlandschaft nach sich zog. Diese Vorgänge betrafen alle damals bestehenden Vorgängerinstitute der Marchfelder Bank sowohl in Groß-Enzersdorf als auch in Gänserndorf und Marchegg, die exemplarisch das damalige Vorgehen des NS-Staates widerspiegeln. Auch wenn es in den damaligen Sitzungsprotokollen nicht verzeichnet wurde, geschahen all diese Fusionen auf Druck bzw. Anordnung von „oben“. Es sei aber auch darauf verwiesen, dass es bei den relativ kleinen Instituten, die hier in einem verhältnismäßig engen geografischen Rahmen operierten, bereits in der Zwischenkriegszeit teilweise personelle Überschneidungen gab.
Die dargelegten Gründe führten 1939 zur ersten dieser Fusionen, und zwar zwischen dem Spar- und Vorschussverein Groß-Enzersdorf und der Handels- und Gewerbekasse für Groß-Enzersdorf und Umgebung, sowie der Änderung des Namens des neu geschaffenen Institutes in Volksbank Groß-Enzersdorf reg. Gen.m.b.H. Die Umbenennung auf Volksbank erfolgte nicht zufällig, was auch für die anderen in der Folge behandelten Fälle gilt. Gleichzeitig mit den Fusionen sollte es auch zu einer Vereinheitlichung der Namensgebung der die unterschiedlichsten Bezeichnungen tragenden Kreditgenossenschaften hin zu „Volksbank“ kommen.
3. Die Handels- und Gewerbekasse für Groß-Enzersdorf und Umgebung reg. Gen.m.b.H.